Ich bin viel zu laut. Mein Sohn sieht mich an wie ein begossener Pudel. Meine Worte hallen noch durch den Raum.

Sein Mundwinkel zuckt. Er presst die Lippen zusammen. Er wendet den Blick ab.

Dann dreht er sich zu mir und sagt gepresst: ‚Blöde Mama!‘

Ja, blöde Mama. Müde. Gestresst. Zu viel. Ich mache mir Tee und atme durch. Mein Sohn rauscht davon und leckt seine Wunden.

Das Doofe ist, dass nun die Schuld um die Ecke guckt. Schuld aktiviert Schmerz im Gehirn und das wiederum verhindert Lernen. Und wenn ich irgendwas dringend lernen möchte, dann ist es, diesen Mist nicht mehr zu machen. Freundlicher zu sein. Nicht rumzubrüllen und gemeine Dinge zu sagen.

Ach Mensch.

Aber da ist meine Erziehung und eine ganze Kultur, die mir sagen – der einzige Weg, mit Fehlverhalten umzugehen ist, mich dafür zu bestrafen.

Okay, Selbstkasteiung ist out, aber das Prinzip von der Sühne steckt in den Köpfen.

Vor einiger Zeit sprach ich mit einer Mama, die zu ihrem Kind etwas Gemeines gesagt hatte. Sie war total verzweifelt. Wir schauten gemeinsam auf sie und wie es dazu kam. Und obwohl wir uns einig waren, dass es sicher nicht okay war, was sie gesagt hatte, konnten wir beide verstehen, WARUM sie das getan hatte. Wie sie in Not gewesen war. Welche Gedanken die Verbindung zu ihrem Kind abgeschnitten hatten.

Ich fragte sie, was sie gebraucht hätte. Sie sagte ‚Jemanden, der mich in den Arm nimmt.‘ – und rief dann aus: ‚Aber das geht nicht, wenn ich mich so verhalte. Das darf ich nicht auch noch fordern.‘

Ist das nicht traurig? Die Idee von Schuld ignoriert unsere Gefühle und Bedürfnisse und fokussiert sich auf unser Verhalten und wie wir es abstellen können… Wait, woher kennen wir denn diese Idee? Ach ja, von Erziehung. Schuld ist meiner Überzeugung nach das ummantelte Produkt gelungen erzogener Menschen.

Aber das Problem ist, dass du dadurch nicht friedlicher wirst. Deine Bedürfnisse sind nicht erfüllt und solange die hungrig sind, wirst du nicht aufhören. Du wirst vielleicht anders sein, vielleicht die Wut in dich reinfressen, aber die Gefahr ist groß, dass es dir und anderen nicht gut tun wird, Schuldgefühle zu haben.

Und dann ist da noch das Kind und die Verantwortung. Und das Wissen dass ich, wenn ich schreie, abwerte, erpresse oder schlicht erziehe, meine Macht missbrauche. Das bohrende Gefühl, dass es nicht in Ordnung ist, was ich tue.

Das ist auch gut so. Es ist wichtig, dass wir wissen, wenn wir etwas falsch machen. Sonst wären wir Psychopath*innen. Wir brauchen Moral und dieses kleine Stechen im Kopf, das uns sagt, ey, du handelst gerade nicht deinen Werten entsprechend.

Was aber tun, wenn es passiert ist? Wie kann ich zeigen, dass ich nicht mit Schuld operiere und gleichzeitig das Kind entlasten? Wie kann ich über Gefühle reden ohne das Kind mit Verantwortung zu belasten?

1. Gewalt benennen

Gerade erzieherische Gewalt versteckt sich oft. In double bind-Botschaften, in Pseudo-Bitten und freundlichen Befehlen. Benenne sie. Sage ‚Ey, ich hab dich dazu gezwungen. Das war bestimmt total doof für dich.

2. Verantwortung übernehmen

Kinder sind nur allzu bereit, ihren Eltern zu verzeihen und das schreckliche Gefühl, was dein Übergriff ausgelöst hat, kleinzureden. Eine sehr beliebte Strategie der Psyche damit umzugehen, ist die Spaltung, also die Annahme, dass andere schon Recht damit hatten und das Kind selber sicher falsch oder schuld sei. Dieser Mechanismus bewahrt kurzfristig Kinder davor durchzudrehen. Langfristig richtet er u.U. großen Schaden an.

Sage deinem Kind, dass das, was du getan hast, nicht in Ordnung war und dass dein Kind nichts, aber auch gar nichts falsch gemacht hat.

3. Empathie geben

Das geht in zwei Richtungen – gib DIR Emapthie und deinem Kind. Ihr beide seid in Not. Sage deinem Kind, dass du bedauerst, was passiert ist. Versuche dir vorzustellen, wie es sich für dein Kind angefühlt haben mag, angeschrieen zu werden oder gehorchen zu müssen. Und vergiss nicht die Empathie für dich. Wie schade, dass du nur noch diesen Weg gesehen hast! Du warst sicher in großer innerer Not.

Wir alle sind auf dem Weg und Fehler sind absolut unausweichlich. Ich denke nicht, dass es hilfreich ist, sie vermeiden zu wollen. Und aussichtlos wäre das auch. Ich erlebe, wie es mich befreit, Verantwortung zu übernehmen und im Kontakt zu sein. Auch und gerade in meinen müden, traurigen, ängstlichen und überforderten Momenten. Die das Leben sind. Nicht mehr und nicht weniger.